Das Fräulein von der Gleneburg
Wo die Lippoldshöhle versteckt zwischen den hohen Buchen liegt, plätschert mit ihrem silberhellen, klaren Wasser die Glene vorbei. Rundherum ist es still. Man hört nur das Gluckern des Baches. Aber es ist unheimlich dort in der Nacht, wenn die ferne Uhr vom Kirchturm in Brunkensen die zwölfte Nachtstunde schlägt.
Dann kommt vom gegenüberliegenden Berge eine seltsame, schlanke Gestalt mit einem Tragholz auf den Schultern. Zwei goldene Eimer hängen daran. Sie hat ein langes, weisses Gewand an, das der kühle Nachtwind leise aufbauscht. Ruhig steigt sie vom Berghang herunter und schaut hin und her, ob keiner in der Nähe ist. Dann huscht sie über die Straße und ist gleich darauf im Buschwerk der Glene verschwunden. Mit leichten Schritt geht sie bachaufwärts, um ihre Eimer zu füllen. Nur einmal rastet sie unter einer alten Eiche. Wenn aber die Glocke vom Kirchturm ein Uhr schlägt, ist die Gestalt im Nebel verschwunden.
Irgendwo soll vor Zeiten die Gleneburg gestanden haben. Sie ist längst untergegangen, doch das Burgfräulein erscheint noch immer in hellen Mondnächten am Bache, um Wasser mit goldenen Eimern zu schöpfen.
Quellennachweis
Entnommen aus Hoike "Sagen und Erzählungen aus dem Land zwischen Hildesheimer Wald und Ith" von Wilhelm Barner, erschienen in der Schriftenreihe des Heimatmuseums Alfeld, Nr. 7