LATEINSCHULE

  • 1610 – 1612  entstanden als freistehender Bau der Hildesheimer Spätrenaissance
  • 1813 – 1855  Lehrerseminar
  • ab 1855 städtische Schule
  • seit 1928 Museum

 

LATIN SCHOOL

  • 1610 -1612  erected as a freestanding building in the style so-called „Hildesheimer Spätrenaissance“
  • 1813 – 1865  teachers‘ training college
  • from 1855  municipial school
  • since 1928  museum

Bereits im Mittelalter existierte in Alfeld eine Lateinschule (1240 wird als Lehrer ein Magister Herwicus erwähnt). Wahrscheinlich war diese Lateinschule der Archidiakonatskirche St. Nicolai angeschlossen und diente der Ausbildung von Geistlichen. 
Später wandelte sie sich zu einer weltlichen, vom Rat der getragenen städtischen Lateinschule, in der vor allem die Söhne der Alfelder Kaufleute auf ein Studium vorbereitet wurden; die lateinische Sprache war die Universalsprache an den Universitäten bis ins 17. Jahrhundert. Mädchen waren an Lateinschulen nicht zugelassen, weil sie nicht studieren durften. Als städtische Einrichtung wurde die Lateinschule 1462 zum ersten Mal erwähnt. 

Im Zuge der Reformation erhielten die Lateinschulen in protestantischen Territorien ein reformatorisch-humanistisches Bildungskonzept. (Alfeld gehörte seit 1523 zum Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel, dass seit 1568 endgültig protestantisch war.) Der Standort der Alfelder Lateinschule war zu jener Zeit das Grundstück, auf dem sich heute das Tiermuseum befindet. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts war offensichtlich ein neues Schulgebäude nötig geworden. Durch eine Spendensammlung, angestoßen von dem damaligen Generalsuperintendenten Bartholomäus Sengebähr im Jahr 1609, an der sich die gesamte Bürgerschaft beteiligte, kamen 40% der Bausumme zusammen. Die anderen 60% wurden vom Rat der Stadt getragen.

Das Gebäude der neuen Lateinschule wurde zwischen 1610 und 1612 im Stil der Hildesheimer Spätrenaissance gebaut. Das Charakteristikum der Hildesheimer Spätrenaissance sind die reliefartig geschnitzten Brüstungsplatten an Fachwerk-Fassaden. An der freistehenden Lateinschule sind alle vier Fassaden mit diesen Schnitzereien verziert.

Die Motive unterliegen einem speziellen Bildprogramm. Es ist das in Bilder gefasste reformatorisch-humanistische Bildungsprogramm, das von Philipp Melanchthon im Zuge 
der Reformation entwickelt worden war:

  • Die Motivgruppe „Fünf Sinne + ratio = Vernunft“ an der Nordseite steht für das sinnliche Wahrnehmen und das Verarbeiten der Sinneseindrücke als Grundlage allen Lernens.
     
  • Die Motivgruppe der Theologen (Luther/Melanchthon), Juristen (Tiburnianus/Bartolus) und Ärzte (Galenus/Hippokrates) stehen für das oberste Ziel der Ausbildung, nämlich den Universitätsabschluss in den Fakultäten Theologie, Jurisprudenz oder Medizin.
     
  • Die Motivgruppen der „Sieben freien Künste“ und der „Neun Musen“ machen deutlich, dass die reformatorisch-humanistische Bildung in der Tradition der Bildung der römischen und griechischen Antike steht.
     
  • Die Ostseite und die Südseite zeigen Personen aus dem Alten und Neuen Testament zum Zeichen, dass die Grundlage der reformatorisch-humanistische Bildung neben dem Erlernen der lateinischen Sprache die Kenntnis der Bibel und des Katechismus war. 

Zusätzlich zu den Brüstungsplatten ist die Lateinschule mit vielen renaissance-typischen Schmuck-Elementen verziert, die von Steinbauten auf den Holzbauten übertragen wurden: etwa Beschlagwerk, Pfeiler-Reliefs, Hermaphroditen oder Engel. 

Rund um das Gebäude zieht sich eine Inschrift in lateinscher Sprache. Sie bezieht sich auf eine Schnitzplatte an der Ost-Fassade: „Jakobs Traum von der Himmelsleiter“, nennt das oberste Ziel der Schulbildung und gibt einen Hinweis auf die Finanzierung der neuen Lateinschule. 

Hier die freie Übersetzung von Helmut Strey, Philologe am Gymnasium Alfeld, 1962:

Einst sah Isaaks Sohn zu den Sternen sich streckende Stufen
Und hinab und hinauf steigen der Himmlischen Schar.
Siehst du das Bild? Denn die Schule ist auch solch mystische Treppe,
Deren Bekrönung das Heil ist von Glaube und Land.
Auf ihr steiget hinab der Stand der Lehrer, vermittelnd
Gültige Lehren, damit Jugend folge dem Pfad.
Fragst du, wozu? Daß Gottesfurcht lebe und Recht triumphiere,
Friede regiere die Welt, herrsche Gesundheit zu Haus.
Daher als Schule auf Vorschlag der Kirche, gebilligt vom Rate
Und erbaut von der Stadt, steht hier dies herrliche Haus.
Lieber Vater im Himmel, so gib, daß mit reichlicher Gnade 
Segen und Glück uns bewahr Schule und Stadt und Volk!

Die Lateinschule existierte bis 1794. Sie wurde in eine Knaben-Bürgerschule umgewandelt, der Vorläuferin der heutigen Bürgerschule. Von 1813 bis 1855 war in der ehemaligen Lateinschule ein Lehrerseminar untergebracht. Seit 1928 wird das Gebäude – mit einer Unterbrechung in den Jahren 1943 bis 1949 –  als Museum genutzt.

Ausführliche Informationen findet sich in folgender Literatur:
Berndt, Horst: (Hrsg.): Die Lateinschule in Alfeld, Petersberg 2010.
Berndt, Horst::Das Bildprogramm und die Inschriften des Alfelder Lateinschulgebäudes von 1610/12, In: Alt-Hildesheim, Band 59, Hildesheim 1988, S. 45-70.